Ein Unternehmen ist gemäss dem APICS Dictionary (15th ed., APICS, Chicago, 2016) ein Vorhaben, ein Wagnis, eine Initiative, eine Gesellschaft oder Firma mit einer definierten Mission.
In diesem Buch wird das Unternehmen als Firma im wirtschaftlichen Umfeld verstanden, und zwar als ein soziotechnisches System. Die Elemente sowie ihre Beziehungen sowohl im System als auch mit den Umsystemen sind komplexer Natur. Verschiedene Interessenten wirken mit unterschiedlichen Vorstellungen und Zielen auf das Unternehmen ein. Die Unternehmensführung ist damit eine komplexe Aufgabe. Die Abb. 1 zeigt drei Dimensionen unternehmerischer Tätigkeit. Ganzheitliche Unternehmensführung bedeutet, entlang dieser Dimensionen Führungssysteme aufzubauen, die simultan ineinandergreifen.
Abb. 1 Drei Dimensionen unternehmerischer Tätigkeit
Führungssysteme für Aufgaben entlang der Wertschöpfungskette wirken heute auf Kunden und vor allem auf Zulieferer ein und werden von ihnen ebenso beeinflusst. Eine solch enge Partnerschaft ist auch aus Sicht des umfassenden Produktlebenszyklus nötig. Die Produktrückführung von Kunden, Demontage, Recycling sowie Rückführung an die Lieferanten müssen als Teil der Wertschöpfung betrachtet und entsprechend bezahlt werden.
Auf Anspruchshalter (engl. „stakeholder“) bezogene Führungssysteme behandeln Geschäftspartner, Mitarbeitende und Eigner (Aktionäre). Diesen individuellen Anspruchshaltern stehen kollektive Anspruchshalter in Form der Gesellschaft gegenüber, d.h. des makroökonomischen Umsystems, in welches ein Unternehmen als Mikrokosmos eingebettet ist. „Umwelt“ (Natur) erscheint hier personifiziert. In der Praxis manifestiert sich der Anspruch der Umwelt erst durch das Bewusstsein der anderen erwähnten Anspruchshalter.
Im Vordergrund der auf die Leistungsfähigkeit des Unternehmens bezogenen Führungssysteme stehen die erwartungsgemässe Qualität und Lieferung (engl. „delivery“), sowie die notwendigen Kosten und deren Finanzierung. Bei Flexibilität, Agilität und Innovation handelt es sich meistens um Potentiale, die sich erst mittelbar auf das Unternehmensergebnis auswirken, und zwar über die zukünftigen Leistungen in den drei anderen Bereichen. Auf die Leistungsfähigkeit bezogene Aufgaben beeinflussen sich auch gegenseitig und wirken als Querschnittaufgaben durch die Aufgaben entlang der Wertschöpfungskette und die „stakeholder“-bezogenen Aufgaben hindurch.
Das Integrale Logistikmanagement widmet sich besonders der erwartungsgemässen Lieferung, also Zielen wie Lieferbereitschaft, Liefertreue und kurze Durchlaufzeiten. Um die Ziele zu erreichen, muss es gelingen, die entsprechende Denkweise in allen Führungssystemen entlang der ganzen Wertschöpfung zu verhaften, und schliesslich auch unternehmensübergreifend. Integrales Logistikmanagement begleitet die Wertschöpfung über den ganzen Produktlebenszyklus, berücksichtigt aber ebenso die Wirkung auf die verschiedenen Anspruchshalter an das Unternehmen, besonders auf die Geschäftspartner.
Integrales Logistikmanagement stellt das Umsetzen von Ideen, Konzepten und Methoden in den Vordergrund, welche das Potential haben, die Effektivität und die Effizienz eines Unternehmens in der Leistungserstellung zu vergrössern. Patentrezepte, Schlagworte und vereinfachende Theorien haben hier wenig Chancen. Die Realität im täglichen Geschehen von Unternehmen in Industrie und Dienstleistung ist komplex und erfordert viel Fleiss (lat. „industria“) in der Detailarbeit. Im Unterschied zu manchen strategischen Konzepten der Unternehmensführung wird hier der „Wahrheitsbeweis“, d.h. der Nachweis der Wirksamkeit, schnell und messbar erbracht. Fehler ergeben rasch unzufriedene Kunden und Mitarbeitende und damit schlechte Geschäftsergebnisse. Diese Unmittelbarkeit und Messbarkeit lassen auch keine Zeit, Verantwortlichkeiten auf andere abzuwälzen.
Auf der anderen Seite bieten logistische Aufgaben eine Vielzahl von Lösungsmöglichkeiten. Gerade hier ist die Kreativität des Menschen, verbunden mit Durchhalte- und Durchsetzungsvermögen, besonders gefragt. Methoden der Planung und Steuerung in der Unternehmenslogistik und insbesondere auch IT-unterstützte Werkzeuge sind immer nur Hilfsmittel. Die Erfahrung zeigt zudem immer wieder, dass der Erfolg im Einsatz von Methoden und Werkzeugen stark von den Personen abhängt, die sie einsetzen.
Aufbau des Buches
Dieses Buch fasst 4 Teile:
- Teil A (Kapitel 1 bis 3): Grundlagen, Strategien und Gestaltungsmöglichkeiten im Integralen Logistikmanagement
- Teil B (Kapitel 4 bis 9): Strategische und taktische Konzepte der Planung & Steuerung im Integralen Logistikmanagement
- Teil C (Kapitel 10 bis 17): Methoden der Planung & Steuerung in komplexen logistischen Systemen
- Teil D (Kapitel 18 bis 20): Überblick über weitere Führungssysteme in Unternehmen
Teil A behandelt das Integrale Logistikmanagement in seiner Einbettung in das unternehmerische Geschehen sowie die strategische Gestaltung von Supply Chains.
- Das Kapitel 1 behandelt das Integrale Logistikmanagement in seiner Einbettung in das unternehmerische Geschehen zur Entwicklung, zur Herstellung, zum Gebrauch und zur Entsorgung von Gütern. Geschäftsobjekte, Zielbereiche, Grundsätze, Analysen, Konzepte, Systemik und Systematik sowie Technologien zur Führung und Gestaltung von logistischen Systemen in und zwischen Unternehmen stehen dabei im Vordergrund.
- Das Kapitel 2 zur Gestaltung von Supply Chains stellt zuerst grundsätzliche Überlegungen zum „Make or buy“ an. Es behandelt in der Folge Modelle, Chancen und Gefahren für verschiedene Arten von Partnerschaften zwischen rechtlich unabhängigen Firmen entlang der Supply Chain, sowie das Management von Supply Chain Risiken ganz allgemein.
- Das Kapitel 3, ebenfalls zur Gestaltung von Supply Chains, behandelt die Standortplanung mit der integrierten Bestimmung von Produktions-, Versand-, Service- und Transportnetzwerken sowie die Nachhaltigkeit im Supply Chain Management.
Teil B stellt die grundlegenden Konzepte und Aufgaben der Planung & Steuerung im Logistik-, Operations und Supply Chain Management sowie Software dafür vor.
- Das Kapitel 4 beginnt mit Methoden zur Geschäftsprozessanalyse, die für das systematische Vorgehen zur Gestaltung der Planung & Steuerung in Supply Chains wichtig und geeignet sind. Es entwickelt sodann eine Charakteristik zur Planung & Steuerung mit Merkmalen, die auf die Leistungskenngrössen zur Messung der Erreichung der unternehmerischen Ziele in Kapitel 1 zugeschnitten sind. Diese Charakteristik kann für jede Produktfamilie unterschiedlich sein.
- Schliesslich werden vier Konzepte zur Planung & Steuerung in Supply Chains in Abhängigkeit von dieser Charakteristik vorgestellt. Die Kapitel 5 bis 8 stellen die wesentlichen Geschäftsobjekte und Geschäftsprozesse für diese vier Konzepte vor.
- Kapitel 5: Das MRPII- / ERP-Konzept
- Kapitel 6: Das Lean-/Just-in-time-Konzept und die Wiederholproduktion
- Kapitel 7: Das Konzept für Produktfamilien und Einmalproduktion
- Kapitel 8: Das Konzept für die Prozessindustrie
- Die Kapitel 5 bis 8 präsentieren die Geschäftsmethoden im Überblick und im Zusammenhang mit der Charakteristik zur Planung & Steuerung. Die Geschäftsmethoden werden in zwei einfachen, jedoch wichtigen Fällen bereits detaillierter entwickelt, nämlich der Programmplanung im MRPII-/ERP-Konzept und der Wiederholproduktion im Lean-/Just-in-time-Konzept.
- Das Kapitel 9 schliesslich behandelt ERP- und SCM-Software für diese vier Konzepte sowie Erfolgsfaktoren für die Einführung dieser Art von Software.
Teil C behandelt die Methoden der Planung & Steuerung in komplexen logistischen Systemen detailliert. Das Referenzmodell in Abb. 2 (eingeführt in Kap. 5.1.4) vermittelt eine Übersicht über – vertikal – die Prozesse zur Planung & Steuerung, gegliedert nach ihren Fristigkeiten (lang-, mittel-, und kurzfristig) sowie – horizontal – alle Aufgaben der Planung & Steuerung. Die Prozesse und Aufgaben sind in einer zeitlich logischen Reihenfolge aufgeführt.
Abb. 2 Das Referenzmodell für Geschäftsprozesse und Aufgaben der Planung & Steuerung
- Die Kapitel 10 bis 17 behandeln die einzelnen Aufgaben der Reihe nach. Ausnahmen bilden die Angebots- und die (Kunden-)Auftragsbearbeitung (sie wird bereits im Kap. 5.2.1 teilweise besprochen und im Kap. 12.1 ergänzt) sowie die Vorkalkulation, die zusammen mit der Nachkalkulation in Kap. 16 behandelt wird:
- Kapitel 10: Bedarfsplanung und Bedarfsvorhersage
- Kapitel 11: Bestandsmanagement und stochastisches Materialmanagement
- Kapitel 12: Deterministisches Materialmanagement
- Kapitel 13: Zeit- und Terminmanagement
- Kapitel 14: Kapazitätsmanagement
- Kapitel 15: Auftragsfreigabe und Steuerung
- Kapitel 16: Vor- und Nachkalkulation und Prozesskostenrechnung
- Kapitel 17: Abbildung und Systemmanagement der logistischen Objekte
- Jedes Kapitel nimmt in seiner Einleitung Bezug auf das obige Referenzmodell und zeigt die behandelte Aufgabe zusammen mit den Planungsfristigkeiten, für welche die Aufgabe besonders wichtig ist.
- Die Methoden in den Kapiteln 10 bis 17 liefern ein vertieftes Verständnis der Konzepte in den Kapiteln 5 bis 8. Sie umfassen alles, was zur Gestaltung von logistischen Systemen nötig ist, die sich nicht durch häufige Auftragswiederholung auszeichnen. Ihre detaillierte Behandlung liefert auch eine vertiefte methodische Grundlage für die bereits vorgestellten Verfahren zur Programmplanung und Kanban im Teil B. Viele dieser Methoden stammen aus dem MRPII-/ERP-Konzept. Sie sind jedoch auch für die Prozessindustrie sowie für variantenreiche Produktfamilien gültig, wobei sie natürlich auf die dort definierten, erweiterten Geschäftsobjekte zu beziehen sind.
Teil D gibt einen Überblick über weitere Führungssysteme in Unternehmen, mit denen das Integrale Logistikmanagement in enger Wechselwirkung steht. Dazu gehören die strategische Unternehmensführung, das Technologie- und Produktinnovationsmanagement, das Finanz- und Rechnungswesen, das Informations-, Wissens- und Know-how-Management, das System- und Projektmanagement. Teil D zeigt auch – und besonders – auf, warum und wo diese Wechselwirkung besteht. In jedem Fall handelt es sich bewusst um eine zusammenfassende Darstellung.
- Kapitel 18: Eine enge Wechselwirkung besteht zwischen dem Integralen Logistikmanagement und dem Umfassenden Qualitätsmanagement bzw. Six Sigma. Beide kümmern sich um die Erfüllung von konkreten Kundenwünschen und siedeln sich deshalb im Bereich der operativen Umsetzung im Unternehmen an. Gerade die japanischen Ansätze stellen jedoch eine Kombination von Konzepten aus beiden Führungssystemen in den Vordergrund. Das „Toyota Production System“ z.B. kombiniert das Lean-/Just-in-Time-Konzept mit dem zum Qualitätsmanagement gehörenden Jidoka-Konzept.
- Kapitel 19: Systems Engineering und Projektmanagement sind mit dem Integralen Logistikmanagement ebenfalls stark verbunden. Erstens können die damit verbundenen Aufgaben in ihrer Gesamtheit als Management-Systeme verstanden werden. Der Entwurf und die laufende Verbesserung dieser Systeme muss mit den Methoden des Systems Engineering und Projektmanagements angegangen werden. Zweitens sind manche der Aufgaben einmaliger Natur („one-of-a-kind“), gerade in der Anlagenstandortplanung im Projektgeschäft oder bei kundenspezifischen Dienstleistungen (Produktion bzw. Beschaffung ohne Auftragswiederholung). Drittens gibt es Techniken, die beiden Gebieten gemeinsam sind. Dazu zählen Planungstechniken wie z.B. die „critical path method“ CPM, Darstellungstechniken wie z.B. das Gantt-Diagramm oder Investitionsrechenverfahren wie z.B. die Payback- oder Kapitalwertmethode.
- Kapitel 20: Im Zusammenhang mit ERP- und SCM-Software-Systemen (siehe Kapitel 9) wird der Zusammenhang des Informationsmanagements mit dem Integralen Logistikmanagement besonders deutlich. Aus dem Informationsmanagement stammen Techniken und Methoden zur realitätsnahen Modellierung von Geschäftsprozessen sowie zur korrekten Abbildung der logistischen Geschäftsobjekte. Die dadurch mögliche geeignete Datenhaltung stellt die benötigten Daten über diese Objekte jederzeit detailliert und aktualisiert zur Verfügung.
Lesehinweise
Hier noch einige Lesehinweise:
Begriffe, die definiert werden, erscheinen immer kursiv, Die Definitionen selbst sind i. Allg. eingerahmt, oder aber in Tabellen, Listen oder Fussnoten aufgeführt.
- Die Definition von Begriffen kann auch als eingerückte Auflistung gegeben sein, wie in diesem Beispiel. Dies ist der Fall bei verschiedenen Ausprägungen desselben Merkmals.
- Wichtige Prinzipien, Praxisbeispiele, Merksätze und Vorgehensrezepte, die Schritte eines Verfahrens oder auch Lösungen für ausgewählte Szenarien und Übungen sind grau hinterlegt und oft mit einer Abbildungsunterschrift zur Referenzierung versehen.
- Einige Teilkapitel sind fakultativ in dem Sinne, dass sie beim ersten Durchlesen nicht unbedingt bereits für das Verständnis des nachfolgenden Stoffes notwendig sind. Diese Teilkapitel sind durch einen (*) als solche identifiziert.
- In gleichem Sinne fakultativ sind zusätzliche Definitionen von Begriffen im Fussnotenapparat. Sie wurden aus Gründen der Vollständigkeit oder zum Verständnis für Leser, die aus benachbarten Fachgebieten oder aus der Praxis kommen, hinzugefügt.
Im Text werden die folgenden Abkürzungen verwendet:
- „bspw.“ für „beispielsweise“
- „F&E“ für „Forschung und Entwicklung“
- „ggf.“ für „gegebenenfalls“
- „Id.“ für „Identifikation“ (z. B. Artikel-Id.)
- „o. Ä.“ für „oder Ähnliches“
- „sog.“ für „so genannt“
- „u.a.“ für „unter anderem“
- „u. U.“ für „unter Umständen“
- „vgl.“ für „vergleiche“
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(Paul.Schoensleben@ethz.ch) für Fragen und Bemerkungen.